Metal Gear Rising: Revengeance – Review zu Raidens Alleingang

Raiden hat im Zuge seines Metal-Gear-Werdegangs eine ganz schöne Entwicklung durchgemacht: vom androgyn anmutenden Snake-Ersatz in Metal Gear Solid 2, den zunächst keiner so recht wollte, zum Badass-Cyborg-Ninja in Metal Gear Solid 4. Ausgerechnet in Teil 4 war er dann aber nicht mehr spielbar – er fristete sein Dasein als Story-Sidekick und sorgte für spektakuläre Cutscenes im Stile der Gamecube-Neuauflage des ersten Teils. Und wer sich in diesen Cutscenes gedacht hat: Warum kriegt der „neue“ Raiden nicht eigentlich ein Spinoff?, der bekommt mit Metal Gear Rising: Revengeance tatsächlich genau das.

 

Cyborgs. Cyborgs everywhere.

Metal Gear Solid 4 schloss seinerzeit die Geschichte um Serienaushängeschild Solid Snake ab. Und eigentlich auch die um Raiden. Der sah nämlich im Krankenbett eher danach aus, als stände nun Familienplanung auf der Agenda. Vier Jahre in seiner und unserer Welt später, und wir sehen: Unser alter Philanthrop kann es doch immer noch nicht lassen. Als Mitglied eines privaten Sicherheitsunternehmens, Maverick Security Consulting, findet sich Raiden in einer Welt nach dem Zusammenbruch des „Patriot“-Systems aus Metal Gear Solid 4 wieder – keine Illuminati-artige zentralisierte KI-Kontrolle von Militär und Politik, dafür aber eine weitverbreitete Cyborg-Technologie, und damit allerhand neue Unruhestifter. Das Szenario ist, nach wie vor, in der nahen Zukunft angesiedelt, also leichte Science-Fiction à la Deus Ex: Human Revolution, allerdings serientypisch stets mit einem leichten Hang zum fantastischen und abgedrehten. Die Mavery-Security-Consulting-Crew ist aufgestellt wie altbekannte Einsatztruppen der Serie. Wieder lässt sich der Spieler von einem Operationsanführer sowie einer Auswahl Experten via Codec-Funkchat unterstützen und berieseln. Nur selten heißt jetzt die Ansage noch: „Bleib unentdeckt“.

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Via Blade-Mode können Gegner gezielt in ihre Einzelteile zerteilt werden.

 

Adé Stealth, Hallo Gemetzel

Aber will man das eigentlich – ein Metal Gear ohne Schleichen? In Teil 4 machte Raiden mitsamt Katana und von-Dach-zu-Dach-Gehechte nicht unbedingt den Eindruck, als würde er diese altbewährte Tugend der Serie in irgendeiner Form noch verinnerlicht haben. Tatsächlich ist Metal Gear Rising sehr konsequent in seiner neuen Ausrichtung. Schleichen geht noch, ja – aber ohne, dass das Spiel einen Genre-typisch magnetisch an Wände saugt oder einen gar ducken lässt. Immerhin: Per Kreistaste (PS3) führt Raiden eine Art Stealth-Takedown aus, beispielsweise wenn er einen Feind eine Plattform unter ihn vegetieren sieht. Diese Attacke führt zum sofortigen Exitus des Feinds, und erspart einen bei so manch härteren Gegner einiges an Schweiß und Zeit. Bei mehreren besonders starken Gegnern ist ein solches Vorgehen sogar manchmal überlebenswichtig, wenn es sich anbietet, und hin und wieder gibt es sogar kleine Passagen, in denen unbemerktes Vorgehen explizit gefordert ist. Man mag es also kaum glauben: Das Spiel belohnt einen für vorsichtiges Vorgehen. Das war’s aber auch schon. Wer will, kommt in der Regel auch durchs Spiel, wer einfach Raiden geradeaus in die Gegnermassen preschen lässt. Das soll aber wiederum nicht heißen, dass blindes Button-Smashing zum Ziel führt. Schon die zweibeinigen Kampfroboter (mit den charakteristischen „Muh“-Geräuschen wie auch in Metal Gear Solid 4) haben es in sich: Ihre starken Kicks lassen ein Einfaches draufknüppeln kaum zu. Nur kurz angekündigt, manchmal oft mit einem zweiten Kick nachgelegt, und einer hohe Reichweite – wer getroffen wird, dem wirft’s erst mal einige Meter ins Abseits. Durch genaue Beobachtung und schnelles Hit-And-Run lassen sich aber auch solche Gegner schnell erledigen – zumindest, wenn sie alleine bleiben, was natürlich nicht lange der Fall bleibt. Später greifen Gegner auch aus der Distanz, aus der Luft an, sind teilweise sogar schneller als Raiden – und immerhin ist Geschwindigkeit einer der größten Vorteile von Raiden. R1 gedrückt (PS3) aktiviert den sogenannten „Ninja-Mode“, indem Raiden sprintet und mehr oder weniger automatisch ihm entgegenkommende Objekte überwindet. Der fast durchgängige Einsatz dieser Fertigkeit sorgt für ein enormes Spieltempo. Gebremst wird dieses im Kampf meist nur durch den ebenfalls per Knopfdruck ausgelösten „Blade-Mode“, indem Raiden stehen bleibt und (wenn aufgeladen) in Zeitlupe die genaue Richtung seines Schlags bestimmt. Das funktioniert so: Mit X (PS3) schlägt Raiden horizontal, mit Y (PS3) vertikal. Mit dem rechten Stick kann dazu die genaue Richtung seines Schlags korrigiert werden. Was sich zu Anfang noch etwas aufgesetzt anfühlt, ist schon nach kurzer Spielzeit völlig natürlicher Bestandteil des Spiels. Die Bestimmung der genauen Schlagrichtung wird schnell taktisches Element zur Bezwingung einiger Gegnertypen – wobei die Tasten X und Y zur Bewältigung meist völlig ausreichen. Dennoch: Der Mix aus flottem Ninja- und langsamen Slow-Motion-Blade-Mode sorgt für ein sehr ausgewogenes Kampfgefühl, die hohe Geschwindigkeit und der dennoch benötigte taktische Überblick fordern.

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Zerteilt man die Gegner im Blademode noch in der Luft, kann ihnen ihr inneres per Kreistaste entnommen werden. Je häufiger dies getan wird, desto mehr Punkte stehen zur Verfügung, um Raiden nach einer Mission mit Upgrades zu versehen.

 

Schwierigkeitsgrad a la Platinum Games

Geschick ist auch beim Blocken vonnöten. Via Viereck-Taste (PS3) kann – im richtigen Moment in Schlagrichtung des Gegners gedrückt – ein Schlag abgewehrt, und damit direkt zum Gegenschlag angesetzt werden. Zu Anfang fristet dieses Feature noch ein eher optionales Dasein. Spätestens ab dem Endboss Monsoon ist es aber essenziell, da Ausweichen ohne Rollenfunktion im Stile von Dark Souls schwer möglich ist und so zu viele Schläge eingesteckt werden, als dass der Kampf siegreich bestritten werden könnte. Leidige Gegner wie besagte Kuh-Kampfroboter gehen dann plötzlich auch deutlich entspannter von der Hand – sofern man die Technik beherrscht. Hier schlägt sich schnell die Friss-oder-Stirb-Attitüde von Platinum Games – unter anderem für ähnlich kompromisslose Spiele wie Vanquish oder Bayonetta verantwortlich – nieder: Wer nicht bereit ist zu lernen, der kommt auch nicht weiter. Selbst auf dem Schwierigkeitsgrad “normal” wird Metal Gear Rising gegen Ende bockschwer. So schwer, dass der Otto-normal-Spieler sicher früher oder später mit dem (im Vergleich dazu viel zu einfacheren) Schwierigkeitsgrad “leicht” liebäugelt. Leider ist es nicht möglich, dies im Nachhinein zu verstellen – die Motivation, noch mal von vorne zu beginnen, ist dann nur noch gering. Anderen wird das egal sein – da wird kein Schwierigkeitsgrad verstellt, viel eher die Zähne zusammengebissen und das Kampfsystem bis auf tiefste verinnerlicht. Wer darauf steht, findet in Metal Gear Rising also wieder ein Spiel der alten Schule, an dem man sich herrlich die Zähne ausbeißen kann – alle anderen mitunter eine Gefahr für die Lebenserwartung ihres Gamepads.

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Auch sekundäre Waffen, wie beispielsweise Granaten, oder in diesem Fall der Raketenwerfer, finden Verwendung im Spiel. Allerdings eher selten, beispielsweise wie hier um einen Helikopter vom Himmel zu holen.

 

Ein echtes Metal Gear

Doch war das nicht Metal Gear schon immer? Schon die alten Teile waren in Sachen Schwierigkeitsgrad in eher höheren Gefilden einzuordnen. Auch wenn Metal Gear Rising hier noch mal eine ganze Schippe drauflegt, fällt spätestens bei den Ersten der zahlreichen (großartigen!) Bossfights auf, dass sich das doch gar nicht so groß anders anfühlt. Das ist aber nicht der einzige Aspekt, der zeigt, dass Metal Gear Rising seine Wurzeln kennt. Zahlreiche Serienrückbezüge, von Snake-Zitaten über den guten alten Pappkarton als das königlichste aller Verstecke, dazu die guten alten Codec-Chats. Vor allem, wenn man die einzelnen Mitglieder seines Teams manuell selbst und ganz zwanglos kontaktiert, erlangt auch Metal Gear Rising die alte inhaltliche Tiefe. Dann packen die Charaktere Politisches, Popkulturelles, Lustiges und Schräges aus – ganz in der Tradition von Metal-Gear-Guro Hideo Kojima, der dieses Mal nur als Executive Producer tätig war. Auch die Story fängt diesen Geist ein. In erster Linie typisch japanisch überdreht und voller Klischees, ist auch Metal Gear Rising nicht dumm, behandelt ethisch aufgeladene Themen wie Kriegsindustrie, Kindersoldaten oder maschinelle Körpererweiterungen. Klar: Die Sphären des Philosophie-Grundkurses werden selten überschritten, zuweilen verharrt man doch in abgedroschenen Wortwechseln. Aber wenn, dann stellt Metal Gear Rising genau die richtigen Fragen und schafft es, die gute alte Gut-böse-Frage abermals auf den Kopf zu stellen. Ansonsten stimmt es schon: Metal Gear Rising ist eine Neuausrichtung der Serie. Altbekannte Gesichter werden fast gänzlich vermisst und durch neue ersetzt – eine undankbare Aufgabe, die das Spiel aber überraschend gut meistert. Die Action ist deutlich dichter, das Spiel wirft einen von einer Szene direkt in die nächste. Ruhigere Abschnitte sind knapp an der Zahl. Alles in allem ist das schon in Ordnung so. Platinum Games haben Metal Gear auf eine ganz neue Art ansprechend gemacht, ohne dabei aber die Marke Metal Gear zu verraten. Eins hat sich im Übrigen kaum geändert: die Länge der Cutscenes und Codec-Chats. Des einen Freud ist des anderen Leid. Wer will, kann diese wegklicken – halbiert damit aber auch eben mal fast den ganzen (ohnehin relativ knapp besäten) Umfang des Spiels.

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In Bossfights ergeben sich gelegentliche geskriptete Sequenzen, in denen der konventionelle Kampf in hektische Quick-Time-Events mündet.

 

Alte Grafik, neuer Sound

Optisch ist der Sprung von Metal Gear Solid 4 zu Metal Gear Rising nicht weit, ganz so als wäre Metal Gear Rising bloß ein DLC des damaligen Serienfinales gewesen. Das erscheint dann zunächst schon etwas hart, stand Teil 4 damals noch recht zu Beginn seiner Konsolenära, während Rising nun an dessen Ende steht. Aber im Grunde lässt sich damit leben, schließlich war Teil 4 grafisch herausragend. Heute ist „Rising“ immerhin grafisch gut: nette Charaktermodelle und ein ganz hübscher Stil, aber mittlerweile etwas matschig anmutende Texturen und Details. All, das tritt im Zuge der wirklich bombastischen Inszenierung in den Hintergrund, sodass sich darüber leicht hinwegsehen lässt. Im Übrigen sucht die Darstellung der genauen Zerteilung der Charaktere via Blade Mode seines gleichen. Etwas makaber, und sicher nicht jedermanns Geschmack, allerdings so in der Form noch nicht gesehen und ungemein spektakulär. Angelehnt an das noch deutlich japanischere Gameplay sowie um dessen geschmückte Cutscenes, ist auch die Musik nun deutlich überladener. Es schießen lauter Metalsoli um die Ohren, in besonders spannenden Bossfight-Momenten darf sich sogar der Alternative-Rock-Chorus mit Gesang in den Vordergrund drängen – eigentlich ziemlich mutig für einen Titel, der so auf den westlichen Markt setzt. Aber hey: Eine so kompromisslose Ausrichtung ist nicht nur mutig, sondern irgendwie auch erfrischend. Und wenn Raiden wieder von einer entgegenkommenden Rakete zur nächsten hopst, um den feindlichen Kampfroboter auszuschalten, dann lässt einen dieses Gesamtpaket der Überladenheit doch das eine oder andere Mal schmunzeln. Und schmunzeln macht man doch eigentlich gerne, oder?

 

 

 

Fazit:
Metal Gear Rising: Revengeance schmeißt vieles von Bord, was alte Fans lieb gewonnen haben – das Schleichen, altbekannte Charaktere. Und nicht allen wird diese Neuausrichtung gefallen. Aber ich verspreche: So einigen mehr, als so manch einer denkt. Denn Metal Gear Rising lebt den Geist der Serie auf seine Art weiter, und reine Schleichspiele waren die Metal-Gear-Teile nie. Dazu funktioniert, was neu ist: Die Kämpfe sind zwar knüppelhart, aber auch eben fordernd, spektakulär und intensiv. Neueinsteiger darf’s sowieso egal sein, die müssen sich endlich nicht mehr anhören, was sie alles nicht wissen über die vorigen Teile und können einfach das Spiel ganz allein gestellt genießen. Gerne darf aus dieser neuen Abzweigung ein ganzer Ast neuer Metal-Gear-Sprösslinge werden.

 

 

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Geschrieben von Thomas Solzic
Immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen.

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